Mit dem Lauf durch das Seetal kehrte ich für einmal zurück in meine Kindheit. Entlang der Reuss, wo ich früher mit dem Töffli in die Berufsschule oder ins Emmen Center fuhr, durch den Frauenwald, wo ich mit Freunden ach so viele verspielte Stunden verbrachte, auf die Rundbahn der Arena Hochdorf, wo wir uns in unzähligen Lauftrainings für den 1’000-Meter-Lauf zu Höchstleistungen antrieben und vorbei an der Seebadi Baldegg, wo ich ach so viele Tage meiner Kindheit und Jugendzeit verbrachte.

Die erste von zwei Etappen führte mich durch das Luzerner Seetal von Luzern via Eschenbach und Hochdorf bis nach Mosen am südlichen Ende des Hallwilersees. Kommenden Montag folgt der Aargauer Teil via Schloss Hallwil nach Lenzburg.

Erlebnis-Lauf durch das Seetal

Der Tag beginnt, wie ein Wochentag so beginnt. Um 7 Uhr in der Früh ist Tagwache für mich und unseren Sohn, meine Frau ist meist schon weg oder gerade im Aufbruch. Dann Anziehen, Frühstücken, Zähneputzen und schon bald gehts los in die Schule für den Kleinen, der gar nicht mehr so klein ist. Und heute Montag gehts auch für mich direkt los auf den Bus in Richtung Zürich mit dem Fernziel Luzern.

Das Wetter ist bedeckt bei angenehm kühlen Temperaturen. So stehe ich in kurzen Laufkleidern da, während andere lange Kleidung und Mantel tragen. Aber solche Kleidungsdifferenzen bin ich gewohnt. Mit dabei habe ich für den heutigen Lauf den Trinkgurt sowie den Laufrucksack mit einem Reisetuch und einem Wechselshirt – und natürlich mein Buch für die Zugfahrten.

Nach angenehmer Fahrt mit dem Interregio komme ich um 9:25 auf Gleis 5 in Luzern an. Wenige Minuten später, um 9:32, fährt auf Gleis 7 die S9 nach Lenzburg. Der sogenannte Seetaler war lange Zeit ein berühmt berüchtigter Zug aufgrund zahlreicher Unfälle. Die Bahnstrecke zwischen Luzern und Lenzburg führt ab Waldibrücke den grössten Teil direkt an der Strasse entlang. So ist es keine Seltenheit, dass Hauptstrasse, Bahnlinie und Hauseingang in dieser Reihenfolge direkt nebeneinander liegen.

Ein wahrer Seetaler

Bis 1998 fuhr der Zug zwischen Waldibrücke und Emmenbrücke gar noch inmitten durch das Dorf Emmen und musste dann beim Bahnhof Emmenbrücke wenden und fuhr in die andere Richtung weiter nach Luzern. Um die Jahrtausendwende wurde zudem die ganze Seetalbahnstrecke umfassend modernisiert und sicherer gestaltet, doch nachwievor fährt die Bahn direkt neben der Strasse und nicht selten auch mal durch einen Kreisverkehr.

Aber was erzähle ich da vom Seetaler als Bahn. Ich selbst bin ja ebenfalls gebürtiger Seetaler, wuchs hier auf und (er-)lebte die ersten 25 Jahre meines Lebens in Eschenbach, ehe es mich nach Luzern und ein paar Jahre später nach Pfaffhausen bei Zürich zog. So nehme ich heute nicht die S-Bahn, sondern werde den Weg des Zuges, zumindest im Grundsatz, mit meinen Laufschuhen an den Füssen in Angriff nehmen. Geplant sind zwei Läufe. Heute von Luzern bis Mosen und in einer Woche von Mosen bis Lenzburg.

Beim Europaplatz beim KKL starte ich kurz vor zehn Uhr meinen Erlebnislauf durch das Seetal. Über die Seebrücke gehts zum Schwanenplatz und dort in die Altstadt rein, so wie früher beim Luzerner Stadtlauf. Heute rufen mir jedoch keine Fans zu und ich gehe es auch einiges gemütlicher an – schliesslich liegen noch über 30 Kilometer vor mir. Beim Mühleplatz quere ich die Reuss nochmals über die Spreuerbrücke und von nun an geht es der Reuss entlang bis kurz vor Waldibrücke.

Rauf und runter in Eschenbach

Die Regenfälle der letzten Wochen und die Schneeschmelze haben den Vierwaldstättersee und somit auch die Reuss gut gefüllt. Das Nadelwehr in Luzern ist komplett offen und die Reuss kann mit voller Kraft der Aare entgegen fliessen. Die Kleine Emme aus dem Entlebuch kommt bei Emmen gewohnt braun daher und sorgt nach dem Zusammenfluss mit der Reuss für eine deutlich zweifarbige Reuss auf mehreren Kilometern.

Ich verlasse die Reuss nun aber und laufe via Waldibrücke meinem Heimatdorf entgegen. Doch dazu muss ich erst einmal steil hochlaufen, ehe es in Eschenbach wieder runter geht, damit ich dann ausgangs Dorf wieder hoch kann. Vom Gebiet Vorhuben und Hubenfeld habe ich einen tollen Ausblick auf mein einstiges Daheim, wo wir als Kinder das Quartier unsicher gemacht haben und auf dem mittlerweile überbauten Feld zwischen zwei Quartieren oftmals am Mittwochnachmittag zum grossen Krieg abgemacht haben. Ausgerüstet mit Pfeil und Bogen stand dann jeweils die ganze Blattenhalde (mit mir) dem Rothli gegenüber. Ach, was waren das noch für Zeiten.

Die zweite Steigung führt vom Dorfzentrum hoch zum Frauenwald und beim heute noch bestehenden Spiel- und Grillplatz am Waldrand mit Traumsicht in die Alpen vorbei. Hiermit sind die gröbsten Höhenmeter für Heute erledigt und ich laufe dem Nachbardorf Ballwil „Baubu“ entgegen. Das Dorf und die Bahnlinie lasse ich jedoch rechts liegen und laufe durch Wald und Wiese bis zum Ortsrand von Hochdorf „Hofdere“, wo ich plötzlich direkt bei der Arena stehe.

Ehrenrunde in der Arena Hochdorf

Da wir in Eschenbach keine Leichtathletik-Rundbahn hatten und haben, trainierten wir für die 1’000-Meter-Wettkämpfe mit befreundeten Vereinen der Nachbargemeinden zusammen in Hochdorf. Da waren teils starke Läuferinnen und Läufer darunter, aber auch solche wie mich. Immer dabei, aber halt nie bei den allerschnellsten. Aber dennoch, müssen die 1’000 Meter in drei Minuten erst mal gelaufen werden. Heute jedoch lag das nicht drin, eine kleine Ehrenrunde auf der Hofderer Rundbahn liess ich mir aber nicht nehmen. Mensch, wie viele Jahre ist das her, seit ich letztmals auf dieser Bahn meine Runden drehte? 20 Jahre? Oder gar 25 Jahre?

Nach dem kleinen Abstecher auf die Bahn geht es weiter in Richtung Baldeggersee. Der Weg führt am Dorfrand von Hochdorf entlang, wo ein grosser Teil der örtlichen Industrie beheimatet ist. Hier arbeitete ich zwischen meiner Lehre und dem Studium und wo damals noch grün war, stehen heute Tankstellen, Baumärkte, ein Restaurant und sogar einen Burger King gibt es nun im Seetal! Krass, irgendwie.

Doch bald erreiche ich das Naturschutzgebiet des Baldeggersees und auch die Seebadi Baldegg, unsere Stammbadi als Kinder und Jugendliche. Mit dem Velo oder Töffli (auch bekannt als Mofa oder Kleinmotorrad oder cooles stinkendes 2-Takter-Gefährt, auf welches man heute stolz ist, wenn man noch eines besitzt) fuhren wir so manche Nachmittage hier hin, schwammen aufs Floss und zurück und waren einfach ein klein wenig cool. So, wie man vor 30 Jahren halt cool war.

Frisch „geduscht“ ins Ziel

Heute bin ich nicht so cool, ich bin Läufer. Vielleicht ein coller Läufer? Wer weiss. Jedenfalls gehts weiter dem See entlang auf sehr angenehmen Wegen durch die wunderschöne Natur. Das Wetter spielt ebenfalls mit und die Sonne scheint von hinten. Der Blick voraus bietet mir jedoch bereits äusserst dunkle Wolken an, welche mir entgegen kommen. So geht es nicht allzu lange und ich ich werde doch noch nass – mal abgesehen vom Schweiss.

Bei Ermensee kurz vor dem Ende des Baldeggersees öffnen sich die Schleusen. Wenig später knallt hinter mir gar der Donner. Doch was sehe ich vorne? Blauer Himmel und Sonnenschein! Nun muss ich ja nur noch durch Hitzkirch hindurch und auf Nebenwegen komme ich dem Ziel beim Bahnhof Mosen immer näher. Es läuft noch relativ gut, die Beine sind aber doch langsam etwas müde und so freue ich mich auf das Laufende für heute.

Beim letzten Bahnhof der Seetalbahn auf Luzerner Boden darf ich dann voller Freude die Stopptaste meiner Laufuhr betätigen. Hier in Mosen steige ich heute in die S9 ein und fahre via Lenzburg und Zürich zurück nach Hause. Nächste Woche gehts dann umgekehrt und ich steige hier wieder aus, um den zweiten Teil meines Erlebnis-Laufes durch das Seetal in Angriff zu nehmen.